America Revisited

Meg Wolitzer gilt als Schriftstellerin, die alle paar Jahre eine neue Version der Great American Novel vorlegt – Romane, in denen es um die Träume, Ängste und das Lebensgefühl der amerikanischen Bevölkerung geht. In ihrem neuesten Roman The Interestings behandelt sie ein besonders populäres amerikanisches Sujet: die (Post-)Hippie-Ära und wie diese die Träume und Ziele der Jugendlichen manipulieren kann.
Dass die Verwirklichung des Ichs nicht immer der Schlüssel zum Glück ist, erfahren die sechs Protagonisten, Ethan, Ash, Goodman, Jules, Jonah und Cathy am eigenen Leib. Zu Beginn treffen sie sich in “Spirit-in-the-Woods”, einem “Sommercamp für Kreative” nördlich von New York. Schon hier kristallisiert sich langsam heraus, wer es einmal “schaffen” wird und wer nicht. Während der unattraktive Ethan beispielsweise die meiste Zeit in einem “Animation Shed” beim Zeichenworkshop verbringt, vertreibt sich Goodman die Zeit damit, vor der weiblichen Bevölkerung seine männlichen, behaarten Beine zur Schau zu stellen und “pot” aufzutreiben. Jules lernt das Schauspielern, weil sie ihrem Vorbild, der rehäugigen Ash, nacheifern will. Jonah ist als Sohn einer Folksängerin natürlich mit der Gitarre in der Hand aufgewachsen und hat nicht genug eigenen Willen, um sich etwas anderem zuzuwenden. Es ist klar, wo das hinführt: Ethans Weg führt steil bergaufwärts, während die anderen von ihrem Weg abkommen oder sich in eine Spirale aus Selbstzweifeln und Einsamkeit verlieren.
Besonders die Geschichte von Jonah sticht heraus: Im Alter von 11 wird er von einem Folksänger unter Drogen gesetzt und seiner Ideen beraubt. Ein wenig unglaubwürdig wirkt dagegen die Geschichte von Goodman, der sich nach einer Anklage wegen Vergewaltigung sein ganzes Leben lang außerhalb der Staaten versteckt halten muss. Da die Autorin sich vor allem das Leben von Jules konzentriert, kommt der Werdegang der anderen manchmal leider ein wenig zu kurz – hier würde man sich, als postmoderner, verwöhnter Leser, “mehr Stimmen” wünschen. Auf viele Menschen, die außerhalb der USA aufgewachsen sind, mag die Begeisterung der Protagonisten in Bezug auf das “kreative Ferienlager” außerdem seltsam wirken – man denkt hierzulande dann doch mehr an Zeltlager mit feuchten Isomatten und nervigen Betreuern. Die Amerikaner haben eben dort, wo sich unsereiner einsam an den Schreibtisch setzt, immer schon mehr auf gegenseitige Inspiration und “Teamwork” gezählt.
Insgesamt reicht der Roman wohl nicht ganz an andere Vertreter des Great American Novel, etwa The Corrections oder The Marriage Plot, heran.

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3 Comments Add yours

  1. almathun says:

    Es gefällt mir, dass du dich in deiner Besprechung auf den einen Aspekt des Camps konzentrierst. Ich habe das Buch nicht gelesen, aber den Eindruck gewonnen, es jetzt besser einschätzen zu können. Manchmal ist weniger halt mehr.
    “Die Amerikaner haben eben dort, wo sich unsereiner einsam an den Schreibtisch setzt, immer schon mehr auf gegenseitige Inspiration und “Teamwork” gezählt.”
    Und ich vermute, die Notwendigkeit von frühem Networking erkannt.
    Thanks, hat Spaß gemacht zu lesen.

  2. Ja, die Autorin geht in der Beschreibung der Charaktere leider nicht so tief wie etwa Jonathan Franzen. Trotzdem ist das Buch nicht schlecht 😉
    Und was das “Teamwork” betrifft – da sind kreative Menschen aus dem “alten Europa” vielleicht wirklich mehr die Einzelkämpfer…

  3. Gringo says:

    Was zeichnet eigentlich den großen Gegenwartsromen (also den guten und nicht den chicken) – sei es in Europa oder USA – aus ? Die Zeitkritik ???

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