Wenn man ehrlich ist, kann man Jane Eyre nicht mehr lesen, so oft wurde es neu aufgelegt, zitiert, parodiert oder verfilmt. Da ist es doch gut zu wissen, dass Charlotte Brontë auch noch andere Romane geschrieben hat, zum Beispiel: The Professor.
Das erste, was an diesem Roman auffällt: Er ist aus der Sicht eines Mannes geschrieben. Ungewöhnlich für die damalige Zeit, in der Frauen schon argwöhnisch beäugt wurden, wenn sie überhaupt etwas verfassten. Doch Charlotte Brontë scheut keine Kontroversen und schreibt aus der Sicht des jungen William Crimsworth, der eine Anstellung bei seinem reichen Bruder Edward bekommt. Da kommt auch schon die zweite ungewöhnliche Ingredienz dieses Romans ins Spiel: der sarkastische Mr Hunsden. Wie ein kleiner Teufel springt er immer wieder zwischen den Zeilen hervor, kritisiert alles, was William unternimmt, macht sich lustig, stellt ihn immer wieder infrage. Fast wirkt es, als sei Mr Hunsden nur die teuflische Seite von William selbst. Dennoch ist es Mr Hunsden zu verdanken, dass William den tristen Job bei seinem hochmütigen Bruder aufgeben und als Lehrer nach Brüssel gehen kann. Dort arbeitet er bald unter der Führung von Mademoiselle Reuter an einer Mädchenschule.
Spätestens jetzt zeigt sich die dritte auffällige Stärke des Romans: die treffenden und spitzzüngigen Charakterbeschreibungen. Als Lehrer einer Mädchenschule steht William natürlich im Mittelpunkt der Lästereien und Anzüglichkeiten der Schulmädchen. Um sich davor zu schützen, dreht er kurzerhand die Blickrichtung um und wird selbst zum “Voyeur”. Bis ins kleinste Detail betrachtet und bewertet er die Mädchen, beschreibt die Form von Hälsen, die Wölbung der Oberkörper, die Tonlage von Stimmen. Das hat durchaus eine erotische Wirkung, doch weiß der Leser, dass all diese Bewertungen eigentlich nur Abwertungen sind und William die Dummheit seiner belgischen Schülerinnen verachtet. Tatsächlich gehört sein Herz jemand anderem: der schüchternen Handarbeitslehrerin Mademoiselle Henri, die an seinem Englischunterricht teilnimmt. Die Schweizerin hat nichts von der Derbheit der belgischen Mädchen, dafür jedoch eine kreative Ader, die William nach und nach freilegt. Doch kann im missgünstigen Klima der Schule eine solche Liebe überhaupt erblühen? Sicher wird der teuflisch schlaue Mr Hunsden dabei noch eine gewisse Rolle spielen…