Viele kennen ihre Autobiographie, nur wenige ihre Romane – dabei haben wir der Nobelpreisträgerin Janet Frame so einige fantasievolle Werke zu verdanken. Zum Beispiel “Living in the Maniototo”, ein kurioses und mitreißendes Sammelsurium von Orten und Personen. Tatsächlich liest es sich wie eine Art Logbuch der Hauptperson Mavis Halleton, die auf ihrem Weg zur Schriftstellerin allerlei verschiedene Städte besucht und unterschiedliche Menschen kennenlernt. Angefangen bei ihren beiden Männern, dem Rohrverleger Lewis und dem Steuereintreiber Lance, die ihr beide, einer nach dem anderen, wegsterben. Zum Glück, möchte man fast sagen, waren es doch recht nüchterne Ehemänner, die für sie die übliche Frauenrolle vorgesehen hatten. Nun, da auch ihre Kinder erwachsen sind, hat sie die Freiheit, zu reisen, und ihren kleinen neuseeländischen Heimatort Blenheim mit anderen Orten zu vergleichen. Jeder der Orte, die Mavis besucht, beschreibt Frame so lebhaft, dass man als Leser fast sofort dorthin reisen möchte. Oder, besser noch, man möchte in Frames Kopf reisen, um zu verstehen, woher all diese Landschaften kommen – auch die inneren:
A person of middle age […] stands suddenly upon a bare plain and will be blown by whatever wind passes by; […] it is glacier-time too, the time for the splinter of ice in the eye, the distortion of vision, impulsive matings, journeys toward that are believed to be journeys away from, and journeys away that are really journeys within.
Die Landschaft als Metapher für die menschliche Seele ist natürlich ein altes Konzept, doch Frame geht gekonnt und originell damit um. Mindestens so originell wirken ihre Figuren, zum Beispiel Mavis’ Freund Brian, bei dem sie nach dem Tod ihres zweiten Mannes einige Monate verbringt. Die beiden scheinen eine intime freundschaftliche Beziehung zu haben; die Szene, in der sie seine Uhr einstellen, empfand ich mit als die schönste zwischen ihnen:
[U]nfortunately, it was five years ahead in time […] The only thing to do, we supposed, was to wind the watch back through the hours and days and years. […] We had a late supper. At half-past one in the morning, Brian was still rewinding his watch, every now and again giving details of his progress or regress. […] Finally, in the early hours of the morning, Brian had shed those five years of inadvertent time and was back in the present.
Es ist auch eine dieser vielen, liebevoll gestalteten Beschreibungen, in die man viel hineinlesen kann. Natürlich hat aber gerade dieses obsessive Beschreiben von Gegenständen, Personen und Orten einen Haken: Die Story kann auseinanderfallen, und das ist bei Frame an ein paar Stellen der Fall. Woher kommt zum Beispiel dieses mysteriöse Ehepaar, das Mavis am Ende sein Haus überlässt, in dem sie ihren endlich ihren Roman schreiben kann? Woher kommen die anderen Paare, die Mavis in diesem Haus besuchen? Aber Frame bzw. die Figur Mavis scheinen sich dieser “Plotschwächen” durchaus bewusst zu sein, scherzt sie doch auf einer Metaebene ständig über das Geschehen:
I had to keep reminding myself that it was my duty to welcome the guests and it amused me to think that had they been fictional characters I would have been far more demanding in my scrutiny of them and may have refused them entry to my house. […] I knew that Peter Wallstead and Howard Conway [writers] would allow a writer one indulgence of such a character, but not four at once!
Im Klartext: Nimmt man die Handlung dieses Romans nicht zu ernst und folgt Janet Frame bereitwillig auf den verschlungenen Pfaden ihrer Fantasie, hat man hier einen wunderbaren Roman mit psychologisch interessanten Figuren und poetischen Orten. Einen Roman, der nie Ruhe gibt und ständig am Übersprudeln und Ausufern ist.
Ist es nicht eine ebenso ueberraschende wie wundervolle faehigkeit sich sogar in eine unvollstaendige und widerspruechliche und zu phantastische geschichte hineinfallen zu lassen wenn die grundstimmung stimmt ?! Und vielleicht sogar selber durch unsere phantasie und unser nachspueren die geschichte weiter auszumalen als sie uns bietet ?! Und die geschichte immer besser zumachen.