Hürdenspringen, Goya und Astronomie: Das sind nur drei der Themen, die Sixten Braun zu Metaphern über sein Leben inspirieren. Ein Leben, das genau von dieser kaleidoskopartigen Vielfalt geprägt ist: Der Protagonist von Heinrich Steinfests Roman Der Alleswisser ist einer, dem das Leben passiert, dem an jeder Ecke neue Dinge begegnen.
Zu Beginn des Romans begegnet ihm etwas sehr Materielles, nämlich ein Körperteil eines explodierenden Wals. Einen Tag später wacht er im Krankenhaus auf und lernt die schöne Ärztin Lana Senfft kennen. Die beiden beginnen eine Affäre, die jedoch abrupt enden muss, als Sixten – man möchte es zuerst kaum glauben – kurz nach seinem Walunfall in ein beinahe tödlich endendes Flugzeugunglück verwickelt wird. An dieser Stelle würde man als Leser glatt verzweifeln – wäre da nicht die angenehm plaudernde, ironische Art, in der Heinrich Steinfest seinen Protagonisten reden lässt und die dem Leser stets versichert, dass doch noch alles gut werden wird.
Wird es dann ja auch – spätestens nach der Scheidung von seiner Verlobten. Sixten gibt den Managerberuf auf und wird dem Lesepublikum damit noch sympathischer. Er verdient sein tägliches Brot nun als Bademeister und scheint mit jedem Tag glücklicher zu werden. War er in seinem früheren Leben – als Manager und in seiner Freizeit – täglich über Hürden gesprungen, so folgt sein Leben jetzt dem ruhigeren Lauf des Wassers. Bis ihm wieder etwas passiert – nämlich Simon. Der neunjährige Halbchinese soll sein unehelicher Sohn sein, seine Mutter Lana Senfft, die inzwischen tot ist.
Durch Simon entdeckt Sixten einen weiteren Sport: das Klettern. Denn der Neunjährige kann zwar kein Wort Deutsch, dafür aber klettern wie ein Affe. Und Zeichnen. Und schwierige logische Probleme lösen. Für Sixten steht fest: Simon ist die Reinkarnation des “Allesforschers”, ein alter Herr, den Sixten in seinen Jugendjahren fast täglich besucht hat und seinen Blick auf die Welt geschärft hat. Nun könnte Simon sein Leben auf die gleiche Weise bereichern – falls er ihn denn als seinen Sohn annimmt…
Auch der Autor Heinrich Steinfest ist ein Allesforscher, ein Metaphernforscher. Er schafft es, von unterschiedlichsten Themen aus Bezüge zur Lebenswirklichkeit seiner Protagonisten herzustellen, etwa von der Hirnforschung aus:
Der Rechner da in unserem Kopf tut alles, um uns das Leben erträglich zu machen. […] Das Gehirn ist ein Künstler und neigt zur Apotheose. Es ist religiös, aber nur der Ästhetik wegen. Es geht in die Kirche, um die Kirche auszumalen, nicht um zu beten.
Oder von der Biologie aus:
Zwischen ihnen und mir hatte nie eine Beziehung bestanden, die dieses Wort verdient hätte. Zu keiner Zeit. Ich war als Kind auch nur ein “Garten vor dem Haus” gewesen, den man an Schläuche hängt und dem man die Windeln wechselt. Keine Frage ich war niemals vernachlässigt worden […] ich war immer ordentlich gegossen worden.
Heinrich Steinfest schafft Metaphern mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen sucht, lässt sein breites Wissen in die Erzählung einfließen. Hin und wieder macht er sich damit natürlich auch der Besserwisserei schuldig und überfrachtet den Roman ein wenig. Insgesamt besitzt der Roman aber diesen gewissen Schuss Esprit, der vielen anderen deutschen Gegenwartsromanen fehlt.
Wenn wir nur alles erforschen könnten wenn wir es wollen. Aber auch: wenn wir nicht alles erforschen wollen wenn wir es können. Und auch: wenn wir das erforschen können erforschen wollen oder das erforschen wollen erforschen können. Und wie wir es drehen und wenden: wir wissen nicht was es alles zu wissen gibt und erforschen das wissen und wissen um das erforschen und reden darüber als hätten wir es immer schon gewusst obwohl wir kaum etwas wissen.