Lesetipps für alle Jahreszeiten

Ein Buch, die fast noch in den Winter passt, weil es so düster und schemenhaft ist wie ein Januartag: Pablo de Santis` Die Übersetzung. Da ich selbst auch Übersetzerin bin, hat mich der Titel natürlich sofort angesprochen. Es geht um eine Übersetzerkonferenz in Puerto Esfinge, einer fiktiven Stadt an der argentinischen Küste. Ursprünglich nur hingefahren, um seine Jugendliebe wiederzutreffen, findet sich der Protagonist Miguel de Blast plötzlich in einem Netz aus Vorzeichen, Lügen und wirren Geschichten wieder, die auf schreckliche Geschehnisse vorausdeuten. Im Mittelpunkt steht eine mysteriöse Geheimsprache, die nicht nur der harmlosen Kommunikation dient…

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Ein lesenswerter Sprachkrimi in Eco`scher Tradition, der Spannung und Stringenz leider nicht bis zum Schluss halten kann und etwas unbefriedigend im Sande verläuft.

In May Sartons Mrs. Stevens hears the Mermaids singing kann man dagegen beinahe den aufkeimenden Frühling riechen, wenn die Protagonistin in ihrem Garten Unkraut jätet oder neue Blumen pflanzt. Die Heldin des Buches heißt Hilary Stevens und lebt als alternde Poetin in einem einsamen Häuschen auf dem Land. Der Besuch zweier Journalisten, Peter und Jenny, gibt ihr den Anstoß dazu, ihr bisheriges Leben und den Schaffensprozess ihrer Werke Revue kapitulieren zu lassen. Den größten Teil des Buches nimmt ein Dialog zwischen Hilary und den beiden Journalisten ein, in dem die drei über das Schreiben, das Frausein und das Schreiben als Frau diskutieren.

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Ein Buch, das sich mit großen Themen beschäftigt und dennoch so leicht und sanft dahinfließt wie ein Bach in der ersten Frühlingswärme.

Die glühende Hitze des ostasiatischen Sommers durchpulst das neueste Buch von Christoph Ransmayr, Cox oder der Lauf der Zeit. Der Uhrmacher Alistair Cox nimmt einen Auftrag des chinesischen Kaisers Qianlong an und reist zusammen mit seinen drei engsten Mitarbeitern nach Peking. Dort soll er, einquartiert in eine aufwändig ausgestattete Werkstatt in der Verbotenen Stadt, einige ungewöhnliche Uhren für den Kaiser bauen, die ganz individuell die Zeit (bzw. Zeitwahrnehmung) eines Kindes, eines Sterbenden, eines Liebenden anzeigen. Doch ob Cox am Ende wieder in seine Heimat zurückkehren kann, hängt ganz davon ab, ob sein Werk den Kaiser zufrieden stellt… Ein Leseerlebnis, das ich mir nicht entgehen lassen konnte, zumal gleich zwei meiner Lieblingsthemen behandelt werden: die Zeit und China. Die Natur- und Stadtbeschreibungen Ransmayrs lassen den Roman auf jeden Fall in den schillerndsten Farben funkeln:

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Leider bleibt der Roman doch allzu oft an dieser schillernden Oberfläche; er funktioniert zwar so reibungslos wie ein Uhrwerk, doch wirklich tiefe Gedanken über die Zeit und ihre Wahrnehmung fehlen.

Um eine Schauspielerin, die sich langsam dem Herbst ihres Lebens nähert, geht es in Susan Sontags In America. Im Jahr 1876 reist Maryna Zalezowska zusammen mit ihrer Familie und ihren Freunden von Polen nach Amerika, um dort, im damals noch relativ dünn besiedelten Kalifornien, eine unabhängige, der Natur verbundene Kommune zu gründen. Eine Utopie, wie sich nach und nach herausstellt: das Land wirft nicht genügend Ertrag ab, viele ihrer Freunde packt das Heimweh, Marynas Mann beginnt, frei von den Konventionen des Heimatlandes, seine homosexuellen Neigungen auszuleben. Schließlich muss Maryna ihren Traum von Amerika selbst in die Hand nehmen… Besonders die gewitzten Dialoge und die vielfältigen Perspektivenwechsel bestechen in diesem zweiten Roman der großen Philosophin.

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Susan Sontag entführt uns sprachgewandt in ein Amerika, das noch Platz für große Träume hatte.

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